Samstag, 23. November 2024
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Studie bestätigt: Nachhaltigkeit muss wirtschaftlich sein

München / Zürich. (bain) Was Unternehmenden schon der gesunde Menschenverstand sagt, hat die internationalen Managementberatung Bain + Company jetzt zusätzlich mit Fakten unterlegt: «Nachhaltigkeit muss wirtschaftlich sein», so lautet die Kernaussage einer Studie gemeinsam mit dem Future Institute. Die zu Beginn dieses Jahrzehnts zu beobachtende Aufbruchstimmung bei der nachhaltigen Transformation ist demnach einer eher nüchternen Betrachtungsweise gewichen. Die Unternehmen halten zwar Kurs, achten nun aber stärker auf die Wirtschaftlichkeit. Dies ergaben ausführliche Gespräche mit rund 20 Top-Führungskräften der deutschen und österreichischen Wirtschaft für die Studie «Nachhaltigkeit: Auf dem Weg zur Wirtschaftlichkeit». Zu den Gesprächspartnern zählten Führungskräfte börsennotierter Konzerne ebenso wie die weltweit agierender Hersteller sowie die großer Familienunternehmen und des gehobenen Mittelstands.

Hohe Zufriedenheit mit bisher erzielten Fortschritten

Fast alle Teilnehmenden an der Studie messen der nachhaltigen Transformation eine genauso hohe oder sogar höhere Bedeutung bei als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der ersten entsprechenden Studie vor drei Jahren. «Deutsche und österreichische Unternehmen halten in den aktuell herausfordernden Zeiten Kurs, was die Nachhaltigkeit angeht», beobachtet Bain-Partner und Co-Autor Karl Strempel. Dafür spreche auch die Tatsache, dass 60 Prozent der Befragten mit dem Grad der bisherigen Zielerreichung in ihrem Unternehmen zufrieden seien, 30 Prozent sogar sehr zufrieden. Heute sei Nachhaltigkeit vielerorts ein integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie, derartige Projekte müssten den gleichen Kriterien standhalten wie andere Investitionen.

Dass die Wirtschaftlichkeit beim Thema Nachhaltigkeit stärker betont wird, ist nicht zuletzt eine Folge der gegenwärtigen Polykrise, die sich aus geopolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren zusammensetzt. Einen weiteren Grund nennt Joern Soyke, Executive Director des Future Institute und Co-Autor: «Bislang sind viele private wie gewerbliche Kundinnen und Kunden begrenzt gewillt, einen höheren Preis für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu akzeptieren. Nur bezahlbare Nachhaltigkeit ist daher wirklich nachhaltig.» Dennoch gilt es vor diesem Hintergrund für die Unternehmen, verstärkt in ihre Vertriebsteams zu investieren. So können sie diejenigen Kundensegmente besser identifizieren und zielgenauer ansprechen, die schon heute bereit sind, mehr für Nachhaltigkeit auszugeben.

Bezahlbare Nachhaltigkeit bietet Unternehmen vielfältige Möglichkeiten. Gut drei Viertel der an der Studie beteiligten Unternehmen konzentrieren sich daher bei der Transformation darauf, neue Geschäftsfelder und Märkte zu erschließen. Das Spektrum reicht hierbei von der breiteren Vermarktung ökologisch nachhaltiger Produkte über die stärkere Ausrichtung des Portfolios an ESG-Kriterien bis hin zum Aufbau eigener Töchter für Themen wie Kreislaufwirtschaft oder nachhaltige Beratung. Für den damit verbundenen Wandel sehen sich die Befragten intern gut aufgestellt, Nachhaltigkeitsteams und Steuerung werden mehrheitlich als effektiv und wirkungsvoll beschrieben.

Unzufriedenheit mit überbordender Regulierung

Die engmaschige Regulierung erfordert jedoch zunehmend Zeit und Ressourcen. Besonders in der Kritik steht das auf EU-Ebene beschlossene CSRD-Reporting (Corporate Social Responsibility Directive) mit seinen umfangreichen Vorgaben. Als Hürden auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit sehen die Führungskräfte auch den bröckelnden Rückhalt in der Gesellschaft infolge veränderter Prioritäten angesichts der Polykrise.

Die Studie identifiziert darüber hinaus mögliche Treiber für einen beschleunigten Wandel. Dazu zählt neben technologischen Innovationen und der Bereitstellung von ausreichend öffentlichem wie privatem Kapital eine höhere CO2-Bepreisung. Nachhaltigkeitsexperte Soyke fordert ein Umdenken: «Mit einem möglichst länderübergreifenden, vorhersehbar und kontinuierlich steigenden Preis für CO2-Emissionen könnte die Politik mehr bewirken als mit oft nicht umsetzungsorientierten Auflagen.»

Strategien auf den Prüfstand – sieben Stellhebel

Die aktuelle Entwicklung der Regulatorik und des Kundenverhaltens erfordert ebenso wie die anhaltende Polykrise, die Nachhaltigkeitsstrategien zu überprüfen und anzupassen. Die Studie hat sieben Stellhebel identifiziert, um Ambition und Umsetzungsgeschwindigkeit zu adjustieren sowie Maßnahmen mit Blick auf Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit zu optimieren. Dazu zählt eine gezielte Innovationstätigkeit genauso wie der vermehrte Abschluss von Kooperationen und die bessere Nutzung von Marktchancen im Vertrieb. Dabei kann es mit Blick auf sich bietende Marktchancen durchaus sinnvoll sein, bei der nachhaltigen Transformation noch einen Gang höher zu schalten. In anderen Branchen dagegen ist es angebracht, einzelne ESG-Themen differenzierter zu betrachten oder sich sogar auf weniger und dafür höchst wertstiftende Nachhaltigkeitsaspekte zu konzentrieren sowie die Transformationsgeschwindigkeit zu überprüfen.

«Die nachhaltige Transformation bleibt eine Mammutaufgabe«, betont Bain-Partner Strempel, der die Praxisgruppe Sustainability + Responsibility in der DACH-Region leitet. Aus der Erfahrung aus zahlreichen Projekten in Asien, Amerika und Europa heraus hat Bain ein Rahmenwerk entwickelt, um den erforderlichen ganzheitlichen Wandel zu orchestrieren. Es berücksichtigt neben der strategischen auch die finanzielle Perspektive und bietet so den passenden Rahmen angesichts der voraussichtlich noch länger anhaltenden Polykrise. Strempel fordert die Wirtschaft auf, weiter Kurs zu halten: «Je früher Unternehmen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit verbinden, desto eher können sie sich einen Vorsprung im globalen Wettbewerb erarbeiten.»