Fresenius-Fachtagung: «Health and Nutrition Claims»
Dienstag, 2009-05-12 [03:04 Uhr] -- Ernährung + Verbraucher

Dortmund / Köln. (12.05. / if) Gesundheit ist ein Verkaufsargument und Gesundheit ist auch eine Frage der Ernährung. Aus diesem Grund ist die Lebensmittel- und Getränkeindustrie daran interessiert, Produkte mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben wie «fettarm», «ohne Zucker» oder «hoher Ballaststoffgehalt» zu kennzeichnen. Im Dezember 2006 haben der Europäische Rat und das Parlament die Verordnung 1924/2006 angenommen, die einheitliche Regeln für solche Werbeaussagen («Claims») auf Lebensmitteln vorschreibt, die auf Nährwertprofilen beruhen. Nur bei Produkten, die echte gesundheitliche und ernährungsbedingte Vorteile bieten, darf auf Etiketten und bei der Vermarktung darauf Bezug genommen werden. Die entsprechenden Claims müssen in einer EU-weit geltenden Positivliste verzeichnet sein, die bis Ende Januar 2010 veröffentlicht werden soll. Die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie sieht sich neuen Herausforderungen gegenübergestellt: Diese wurden auf der Internationalen Fresenius-Konferenz über «Health and Nutrition Claims in Europe» thematisiert, zu der die Akademie Fresenius und SGS Institut Fresenius eingeladen hatten. Die zweitägige Konferenz fand Ende April in Köln statt und behandelte alle wichtigen Themen der neuen Gesetzgebung: Umsetzung, Zulassung, Antragstellung und Vermarktung.

Die Verordnung ist geltendes Recht in allen EU-Mitgliedstaaten. Sie soll die Verbraucher schützen und unseriöse Anbieter aus dem Markt drängen. Für innovationsfreudige Hersteller birgt die Einführung einer Positivliste jedoch Risiken: Falls der verwendete Claim 2010 nicht zugelassen wird, muss das entsprechende Produkt überarbeitet werden. Das bedeutet zusätzliche Kosten zu den bereits investierten Aufwendungen für Entwicklung und Vermarktung.

Industrie verlangt mehr Realismus bei Nährwertprofilen
Laut Andreas Kadi von Coca-Cola in Brüssel wurden während des Verfahrens zur Festlegung der Nährwertprofile «politische» Aspekte immer wichtiger -- auf Kosten wissenschaftlicher Kriterien. «Ein transparenteres Verfahren hätte diese Entwicklung und die Probleme in der noch laufenden Schlussphase womöglich teilweise verhindert», sagte er auf der Fresenius-Konferenz. Die Zeitverzögerung und die rechtliche Unsicherheit hätten erhebliche Folgen für die Produktentwicklung und die Innovation gehabt, betonte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Nährwertprofile des Verbands der Europäischen Lebensmittelindustrie (CIAA). Zudem sieht Kadi immer noch Bedarf für eine sachgerechte und detaillierte Folgenabschätzung (Impact Assessment).

Voraussetzungen für Innovation
Auf der Fresenius-Konferenz äußerten weitere Industrievertreter ihre Unzufriedenheit über den Stand der Health-Claims-Verordung. Henk Aalten von DSM Nutritional Products in der Schweiz forderte, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen mehr Berechenbarkeit schaffen, den Entscheidungsprozess beschleunigen und für Chancengleichheit sorgen. «Werden diese Voraussetzungen nicht gewährleistet, steigen die wirtschaftlichen Risiken zu Lasten der Innovationsbereitschaft», sagte Aalten. Unternehmen, die ein Portfolio an Innovationen hätten und weltweit marktfähig seien, könnten mit diesen Risiken umgehen -- viele kleine und mittlere Unternehmen dagegen nicht. Unternehmen, die sich an die Regeln halten, seien vor denen zu schützen, die dies nicht tun: «Gesetze greifen nur, wenn sie auch durchgesetzt werden. Die einheitliche Anwendung und Durchsetzung unter den 27 Mitgliedstaaten entscheidet über Erfolg oder Scheitern jeder gesetzlichen Regelung», sagte Aalten. Außerdem stehen Aufwand und Erträge oft nicht im Verhältnis, denn einen Antrag unter der Health-Claims-Verordnung zu stellen, sei eine erhebliche zeitliche und finanzielle Investition.

Fallstricke des Antragsverfahrens
Anträge für gesundheitsbezogene Werbeaussagen müssen einem sehr hohen wissenschaftlichen Standard entsprechen. Die derzeitigen Bewertungen zeigen, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nur Claims mit einer überzeugenden wissenschaftlichen Grundlage akzeptiert. Ein Antrag hat nur dann Erfolgschancen, wenn dahinter ein hohes Maß an Expertise sowie zeitliches und finanzielles Engagement steht. Aalten brachte das Kernproblem des gegenwärtigen Zulassungsverfahrens auf den Punkt: «Die Nachweispflicht, die für die Verwendung eines Health Claims besteht, sollte in einem angemessenen Verhältnis zur tatsächlichen Aussage des Claims stehen». Ansonsten könne Innovation nicht gewährleistet werden und die Verbraucher in der EU würden von neuen Entwicklungen ausgeschlossen. In seinem Vortrag über «Fallstricke des Antragsverfahrens» argumentierte Bernd Haber (BASF) in dieselbe Richtung: Er schlug vor, adäquate Formulierungen für die Claims einzuführen, in dem man eine der Qualität des Nachweises entsprechende Sprache verwendet.

Folgen der Health-Claims-Verordnung für das Marketing
Anne Heughan von Unilever in London sagte auf der Fresenius-Konferenz, ihr Unternehmen hätte die Annahme der Health-Claims-Verordnung unterstützt, um das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittelindustrie zu sichern und für einen fairen Wettbewerb und Chancengleichheit zu sorgen. Ziel sei es zudem gewesen, die Möglichkeiten auf dem europäischen Binnenmarkt zu erweitern. Allerdings räumte sie ein, dass das schwierige rechtliche Umfeld die Vermarktung von Produkten mit Health Claims erschwere. Heughan: «Auf viele wichtige Fragen haben wir nur spekulative Antworten. Das macht die Planung besonders für die Verpackung und Werbung -- für die es lange Vorlaufzeiten gibt -- schwierig». Ihrer Meinung nach muss die Wissenschaft das übergeordnete Kriterium sein, um zu entscheiden, ob Produkte Claims haben dürfen. Dabei seien jedoch Risiken und Nutzen einzubeziehen. Dessen ungeachtet warnte Heughan vor zu viel Wissenschaft: «Nicht alle Werbeaussagen sollten wissenschaftlich formuliert sein. Ansonsten verlieren wir Kunden, denn diese brauchen auch emotionale Kaufanreize».

Info: Interessenten können die Tagungsunterlagen mit den Skripten aller Vorträge der Fresenius-Konferenz zum Preis von 295 Euro plus Mehrwertsteuer bei der Akademie Fresenius erwerben.

 

Druckversion:
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