Donnerstag, 18. Juli 2024
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Fresenius-Konferenz: über Novel Food und Nanotechnologie

Dortmund / Köln. (af) Die Lebensmittelindustrie ist über die Novel-Food-Verordnung 258/97 (EG) nicht gerade erfreut. Wie sich in der Vergangenheit zeigte, ist es schwierig, ein neuartiges Lebensmittel auf den Markt zu bringen: Ein langwieriges Zulassungsverfahren, ein hoher Verwaltungsaufwand und erhebliche Kosten wirken hemmend. Die Europäische Kommission hat die Mängel der gegenwärtigen Verordnung erkannt und sich drei Hauptthemen für die Revision vorgenommen: Zentralisierung des Zulassungsverfahrens, Umgang mit traditionellen Lebensmitteln aus Drittstaaten und Datenschutz. Erfahrungen mit der Novel-Food-Verordnung, Erwartungen für die Zukunft und nanotechnologische Anwendungen in Lebensmitteln waren zentrale Diskussionspunkte auf der zweiten internationalen Fresenius-Konferenz «Novel Food» Anfang November in Köln.

Die Novel-Food-Verordnung und ihre Revision: Skepsis überwiegt

Dr. Horst Messinger (Cognis GmbH) kommentierte die derzeitige Vorgehensweise bei der Zulassung neuartiger Lebensmittel: Seit 1997 seien 75 Prozent der eingereichten Lebensmittel abgelehnt, zurückgezogen oder keiner Entscheidung zugeführt worden. Laut Messinger ist die Bearbeitungszeit innerhalb der Europäischen Kommission lang und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Bewertung nicht vorhersehbar. Außerdem könnten die Kosten, die ein Unternehmen im Vorfeld der Zulassung aufwenden muss, oftmals nicht kompensiert werden. «Die Novel-Food-Verordnung leistet der Innovation keinen Vorschub», betonte Messinger auf der Fresenius-Konferenz. Ob die Revision der Novel-Food-Verordnung zu wesentlichen Verbesserungen führt, sei unklar. Die Grundlage für den jetzigen Entwurfsvorschlag sei eine Wirkungsanalyse gewesen, die sich auf 65 Rückmeldungen gestützt habe, von denen jede als eine Stimme gewertet worden sei. Messinger: «Die Stimme eines einzelnen Verbrauchers hatte dasselbe Gewicht wie die Stimme des Verbands der Europäischen Lebensmittelindustrie CIAA, der 90 Prozent der Lebensmittelindustrie in der EU vertritt. Das kann keine angemessene Basis für einen Gesetzgebungsprozess sein». Er forderte Verbesserungen der Leitliniendokumente, damit die Antragsteller ihre Erfolgsaussichten abschätzen können. Messinger sieht keine Notwendigkeit dafür, dass Nahrungsergänzungsmittel und herkömmliche Lebensmittel unterschiedlich behandelt werden. Außerdem begrüßte er die Fristen für die Bewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), wie sie in der Revision der Novel-Food-Verordnung festgehalten wurden und regte an, weitere Fristen für die Entscheidung des Wissenschaftlichen Ausschusses (SC) zu setzen.

Stevia: Zulassungsverfahren mit bitterem Nachgeschmack

Die Fresenius-Konferenz bot einige Beispiele für Zulassungsverfahren neuartiger Lebensmittel, darunter auch Stevia. Stevia rebaudiana Bertoni wurde als Süßungsmittel in verschiedenen EU-Ländern bereits vor der Einführung der Novel-Food-Verordnung im Jahr 1997 verwendet. Schon 1942 gab es Versuchsfelder in Großbritannien, auf denen Steviapflanzen angebaut wurden. Mehr als neun Tonnen getrockneter Steviablätter wurden 1989 allein in Belgien importiert, und zwischen 1989 und 1997 wurden Steviablätter in den Niederlanden, in Belgien, in der Schweiz, in Deutschland und in Großbritannien verkauft. Doch 1997 intervenierte das belgische Gesundheitsministerium, sodass der Verkauf lebender Steviapflanzen in Belgien eingestellt wurde, wie Prof. Jan M.C. Geuns (KU Leuven, Belgien) auf der Fresenius-Konferenz berichtete. Das Ministerium behauptete, Stevia sei ein neuartiges Lebensmittel in Europa. Geuns machte «gewaltige Fehler und falsche Einschätzungen» des früheren Wissenschaftlichen Lebensmittelausschusses (SCF, Vorgänger der EFSA) verantwortlich dafür, dass Stevia bis heute noch nicht das Zulassungsverfahren bestanden habe. «Eines der großen Probleme der Novel-Food-Verordnung ist, dass die Sicherheitsbewertung auf negativen Beweisen basiert. Das eröffnet Gegnern eines bestimmten neuartigen Lebensmittels die Möglichkeit, die Zulassung mit zusätzlichen Fragen zu erschweren», sagte Geuns. Nur im Falle eines positiven Beweises einer bestimmten schädigenden Wirkung sei eine weitergehende Forschung vor der Zulassung auf dem europäischen Markt notwendig. Geuns: «Wenn ein Lebensmittel täglich von mehr als 164 Millionen Menschen ohne Anzeichen einer schädigenden Wirkung konsumiert werde, sollte es zugelassen werden ohne weitere kostspielige und unnötige Forschungsauflagen».

Nanotechnologie: Die Zukunft ist kleiner als klein

Nanotechnologie gilt als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Die Hoffungen und Erwartungen, die in sie als Innovationsmotor gesetzt werden, sind enorm. «Zugleich ist das Wissen über den Einfluss der Nanotechnologie auf die menschliche Gesundheit bis heute größtenteils spekulativ», sagte Dr. Gaby-Fleur Böl (Bundesinstitut für Risikobewertung) auf der Fresenius-Konferenz. Neue, mithilfe von Nanotechnologie hergestellte Materialien werden verstärkt im Produktionsprozess und in Verbrauchsgütern verwendet. Daher sieht Böl einen wachsenden Bedarf, Sicherheits- und Risikofragen der Nanotechnologie zu untersuchen. Alle Parteien, so Böl, sollten die Möglichkeit haben, sich eine informierte Meinung über die Auswirkung neuer Technologien zu bilden, um mit ihnen verantwortungsbewusst umgehen zu können. «Um dies zu erreichen, ist es unter anderem wichtig zu wissen, wie Verbraucher bestimmte Risiken wahrnehmen», erklärte sie. Das BfR führte 2007 ein Forschungsprojekt über die öffentliche Wahrnehmung von Nanotechnologie durch. Die Mehrheit der 1.000 Befragten hielten den Nutzen der Nanotechnologie für größer als ihre Risiken (66 Prozent). Daher standen sie dieser Technologie auch positiv oder sehr positiv gegenüber (77 Prozent). Während nanotechnologische Anwendungen im Lebensmittelbereich abgelehnt wurde (80 Prozent), gab es eine große Unterstützung in den Bereichen der Textilien, Farben und Lacke (86 Prozent).

Die Schätzungen, inwieweit die Nanotechnologie im Bereich der Lebensmittel verbreitet ist, gehen auseinander: «Diese Abweichungen führen zu Missverständnissen und Misstrauen, die einer fruchtvollen Auseinandersetzung nicht dienlich sind», betonte Beate Kettlitz (CIAA) auf der Fresenius-Konferenz. Lebensmittel können von Natur aus nano-strukturiert sein, argumentierte sie. Demzufolge würde eine zu weite Definition einen Großteil moderner Lebensmittelwissenschaft einschließen und sogar einige Gebiete traditioneller Lebensmittelverarbeitung. Kettlitz befürwortet die Unterscheidung zwischen technisch erzeugten Nanopartikeln und selbstorganisierten Nanostrukturen. «Wir benötigen Klarheit über das, wovon wir reden. Und wir müssen die Unterschiede der Technologien deutlich machen. Das kann uns helfen, Missverständnisse auszuräumen und eine gute Basis für einen Dialog zu schaffen», erklärte sie. Die Industrie sollte die Kommunikation mit Händlern und Verbrauchern verstärken, aber auch mit anderen Beteiligten wie Nichtregierungsorganisationen, Risikobewertern und Risikomanagern. Laut Kettlitz sondiert die CIAA schon Termine für den nächsten «Stakeholder Dialog», der Anfang 2009 stattfinden soll.

Info: Die Tagungsunterlagen mit den Skripten aller Vorträge der Fresenius-Konferenz können Interessenten bei der Akademie Fresenius beziehen.