Mittwoch, 17. Juli 2024
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Paradigmenwechsel: Ein Bauer geht an die Börse

Hamburg. (eb) «Brüssel will großen Agrarbetrieben ans Geld», titelte dieser Tage «Capital». Hintergrund: Die EU-Kommission will angesichts hoher Lebensmittelpreise die Agrarpolitik grundlegend reformieren. Nach einem Entwurf von Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel will die EU die Preisstützung weitgehend aufgeben, Direktbeihilfen für große Betriebe stark kürzen, Flächenstilllegungen angesichts steigender Lebensmittelpreise beenden, die Milchquoten schrittweise auslaufen lassen und der ländlichen Entwicklung mehr finanziellen Spielraum geben. Geneigte Leser mögen an dieser Stelle kraft ihres gesunden Menschenverstands zustimmen. Doch Widerstand aus Frankreich ist zu erwarten und aus Deutschland bereits angekündigt.

Schade. Denn das zeigt, wie eng der Blickwinkel ist, geht es um das Thema Agrarwirtschaft. Lässt man Natur- und Sozialromantik beiseite, sind Bauern vor allem eines: selbstständige Unternehmer. Und Bauernhöfe sind Betriebe wie alle anderen auch. Damit stehen ihnen grundsätzlich interessante Möglichkeiten der Unternehmensführung und Finanzierung offen.

Der Paradigmenwechsel, den wir derzeit – angesichts Klimawandel und magerer Ernten, explodierender Rohstoffpreise, veränderter Warenströme etc. – weltweit erleben, sollte zusätzlich dazu anregen, als Bauer optimistisch in die Zukunft zu blicken. Wachsende Weltbevölkerung, zunehmender Wohlstand in Schwellenländern und der Trend zu erneuerbaren Energien machen die Landwirtschaft zu einem attraktiven Zukunftsmarkt.

Warum keine Aktiengesellschaft gründen und Kapital von der Börse beschaffen? Was bereits bei der Weiterverarbeitung der Produkte möglich ist, kann doch auch ein Modell für den eigenen Hof sein. Kein Interesse der Investoren? Falsch. Nach Recherchen des österreichischen «Wirtschaftsblatts» ist die Aktie des Agrarkonzerns «Cresud» eine der erfolgreichsten Aktien an der argentinischen Börse. Das Unternehmen besitzt und bewirtschaftet rund 120.000 Hektar Land. Rendite: rund acht Prozent nach Steuern.

In Österreich sammelt der Immobilienentwickler Michael Kraus gerade bei finanzkräftigen Investoren Geld ein, um einen großen Agrarbetrieb ins Rollen zu bringen – leider in Rumänien. Sein stärkstes Verkaufsargument: die Hausse am Rohstoffmarkt. Diese konsequent zu nutzen, haben Bauern und Bauernvertreter bislang versäumt. Kein Wunder. Denn wer so lange reglementiert und alimentiert wird wie die Landwirtschaft zumindest in Frankreich und Deutschland, der hat irgendwann das selbständige Denken verlernt.

Dabei sollte es gar nicht so schwer sein, aus der Betroffenheitsecke herauszufinden – schließlich sorgt auch der Bioboom für steigende Nachfrage nach Agrarprodukten. Laut Angaben aus verschiedenen Studien hält die Ökowelle in Deutschland an: Im ersten Halbjahr 2007 kletterten die Umsätze mit biologisch und nachhaltig produzierten Lebensmitteln um 40 Prozent. Insgesamt könnten Produkte, die nach streng ökologischen Methoden hergestellt werden, in Deutschland bis 2020 einen Marktanteil von 30 Prozent erreichen. Heute liegt der Anteil noch unter zehn Prozent. Es gibt also keinen Grund zum Jammern wegen irgendwelcher Subventionen, die die einen bekommen und die anderen nicht.

Neue Wege und Innovationen sind gefragt. Und kaum hat man?´s ausgesprochen, passiert?´s auch schon: Ab dem 15. November notiert an der Frankfurter Börse die KTG Agrar AG mit Sitz in Hamburg. Unternehmensgegenstand ist die Produktion von Getreide, Mais und Raps auf eigenen Anbauflächen. Die Papiere der KTG Agrar sollen vom 08. bis 13. November gezeichnet werden können. Für die Notierung am Entry Standard werden bis zu 1,8 Millionen Aktien ausgegeben, von denen 1,3 Millionen aus einer Kapitalerhöhung stammen. Mit Unternehmenschef Siegfried Hofreiter (45) geht damit der erste gelernte Bauer Deutschlands an die Börse.Privatanleger können sich über die Comdirect Bank um Aktien bemühen. Aus dem Börsengang will der Konzern, zu dem 19 landwirtschaftliche Firmen mit rund 14.000 Hektar Fläche gehören, bis zu 28 Millionen Euro einnehmen. Dieses frische Kapital soll für den Kauf weiterer Betriebe und Ackerland verwendet werden, «um unsere Position als Marktführer in Europa bei qualitativ hochwertigem Getreide und Mais weiter auszubauen», sagte Vorstandschef Hofreiter gegenüber der «Welt».

Für 2006 hat der Agrarkonzern an der Alster eine Gesamtleistung von 18 Millionen Euro gemeldet. Neben konventionellen und ökologischen Produkten vom Land produziert KTG auch Biogas. Dabei verarbeitet das Unternehmen Rohstoffe von eigenen Feldern, muss also weder Mais noch Getreide oder Gülle zukaufen. Dieses «integrierte Produktionsmodell» stellt nach Meinung Hofreiters einen Vorteil gegenüber anderen Biogasherstellern dar – mal abgesehen von den üblichen Zuckerbaronen.

Fazit: Hohe Rohstoffpreise können durchaus etwas Gutes haben. Wobei es das Lebensmittel produzierende Gewerbe eher interessiert, ob auch hohe Lebensmittelpreise «ihr Gutes» haben. In diesem Punkt bleibt abzuwarten, wie weit die energische EU-Kommissarin Fischer Boel mit ihren Vorstellungen kommt und ob sie sich gegen die arrivierten Seilschaften zu behaupten versteht. Gelänge es ihr, tradierte Strukturen aufzubrechen, könnte sich durchaus die Lage am EU-Rohstoffmarkt entspannen – zugunsten von Produzenten und Konsumenten.