Dienstag, 16. Juli 2024
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VR China: Marketing für die Mittelschicht immer wichtiger

Shanghai / CN. (bfai) Chinas Superreiche mit Luxuswaren zu versorgen, ist die lukrative Nische einer kleinen Zahl internationaler Firmen. Zu den großen Herausforderungen des Marketings der Zukunft zählt jedoch die Bearbeitung des chinesischen Massenmarkts. Ein erster Schritt ist die Ausrichtung auf die wachsende Mittelschicht mit ihren sich ausdifferenzierenden Konsumgewohnheiten. Gefragt sind keine Einheitslösungen, sondern angepasste Angebote, die den Wünschen der Kunden nach «Marke» und «Flair» entgegenkommen.

Etwa 200 Millionen Menschen gehören zur neuen chinesischen Mittelklasse aus «White-collar»-Angestellten, Beamten, Managern und Unternehmern, schreibt die Zeitung «China Daily». Bis etwa 2020 könnten es doppelt so viele sein. Charakteristika sind ein gewisser Bildungsstand, eine «städtische Lebensweise» und nicht zuletzt eine bestimmte Einkommenshöhe.

Das chinesische Statistikamt definiert Familien mit einem Jahreseinkommen zwischen 60.000 und 600.000 Renminbi Yuan (RMB; rund 6.000 bis 60.000 Euro; 1,00 Euro = 10,36 RMB) als diese «Mittelklasse». Etwas enger ist die Definition der Chinese Academy of Social Sciences (CASS): sie legt ein Einkommen zwischen 150.000 und 300.000 RMB zu Grunde. Trotzdem geht die CASS davon aus, dass der Anteil der Schicht an der Bevölkerung bis 2020 auf etwa ein Drittel steigt.

Die Mittelschicht wächst erheblich

Wo auch immer die Einkommensgrenzen festgelegt werden, Tatsache bleibt: Die Mittelschicht wächst erheblich. Typischerweise handelt es sich dabei um ein Ehepaar mit einem Kind, für dessen Ausbildung und sonstigen Unterhalt keine Kosten gescheut werden. Die Familie verfügt über eine Eigentumswohnung in der Stadt. Mit mehr Wohnfläche steigt die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern (auch weil jetzt genügend Platz vorhanden ist, sie unterzubringen). Besitzer einer Eigentumswohnung sind überdies eher bereit, in die Innenausstattung (Böden, Bäder, Lampen, Möbel etc.) zu investieren.

Darüber hinaus spielt für den wohlhabenden Mittelstand Mobilität eine besondere Rolle. Wer es sich leisten kann, erfüllt sich den Traum vom eigenen Auto. Insgesamt nehmen Reisen ins In- und noch besser ins Ausland einen immer größeren Posten im Haushaltsbudget ein, sofern es der eng gesteckte Terminplan zulässt.

Trotz der finanziell verhältnismäßig privilegierten Ausgangssituation fühlen sich die Angehörigen starken sozialen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Die eigenen Eltern, welche oftmals in einer anderen Stadt leben, wollen versorgt sein; das Kind soll die bestmögliche Ausbildung erhalten.

Gesundheit hat höchste Priorität

Hinzu kommt hoher Druck am Arbeitsplatz. Viele suchen daher einen Ausgleich in Form von Unterhaltung (wie Restaurantbesuchen und Shopping) oder auch auf Kurzreisen. Hauptausgabenfelder der Zukunft werden die Gesundheits- und Altersversorgung sowie der Unterhalt der Wohnung sein.

Schon heute räumen 86 Prozent der in einer chinesischen Untersuchung befragten Städter dem Erhalt ihrer Gesundheit oberste Priorität ein. Entsprechend hohe Wachstumschancen werden für Gesundheitsprodukte im weitesten Sinne gesehen, auch erleben Sportstudios und ähnliche Einrichtungen einen Boom. Auf der anderen Seite verbringen die Menschen aber auch immer mehr Zeit vor dem Fernseher oder dem Computer.

Qualitätsbewusstsein nimmt zu

Die Ansprüche, mit denen sich eine Mittelschichtfamilie beruflich, schulisch oder privat konfrontiert sieht, überträgt sie auf ihren Verbrauch. Wer es zu etwas gebracht hat, will als Konsument ernst genommen werden und sich nicht mit minderwertiger oder gar anderswo ausgemusterter Ware abspeisen lassen. Tatsächlich setzt sich in der chinesischen Gesellschaft dabei auch die Einsicht durch, dass gute Qualität ihren Preis hat. Entsprechend nimmt die Bereitschaft zu, diesen Preis zu bezahlen.

Servicedienste werden groß geschrieben und besonders bei teureren Produkten eingefordert. Hierzu zählen schneller Liefer- und Aufbauservice genauso wie das Einkaufserlebnis in «gehobener Atmosphäre». Die Verpackung gerade teurer Artikel kann gar nicht aufwändig genug sein.

Angesichts der mit billiger Massenware überschwemmten Einzelhandelsgeschäfte schätzen Käufer Geschichten über Herkunft und Charakteristika ihres Kaufs. «Made abroad» ist für sie ein Plus, eine Assoziation zur chinesischen Tradition oder Kultur wäre ein besonderes Kaufargument.

Praline zum Kaffee

Unterschiedlichste Branchen sehen hier ihr Betätigungsfeld der Zukunft – angefangen beim Chocolatier, der darauf setzt, dass «die Praline zum Kaffee» Anhänger gewinnt, bis hin zum Arzneimittelhersteller, da angesichts der sich ändernden Lebensweise viele westliche Zivilisationskrankheiten wie Kreislauferkrankungen oder Diabetes in China zunehmen.

Grundsätzlich sind Marken- und Imagebildung die Grundpfeiler für einen dauerhaften Erfolg. Angesichts der großen Zahl gefälschter Produkte und der Unzuverlässigkeit vieler chinesischer Lieferanten hegen die Konsumenten zu Recht ihre Furcht vor minderwertiger Ware. Kunden, die es sich leisten können, greifen daher zur etwas teureren, aber bekannten Marke. Sie garantiert einen konstanten und hohen Standard – und das ist eine große Chance für deutsche Lieferanten. Denn in China genießt «»Made in Germany«» immer noch einen ausgezeichneten Ruf.

Marketing nach Zielgruppen

In der Folge bieten immer mehr internationale Firmen speziell auf die Erfordernisse ihrer chinesischen Kunden zugeschnittene Erzeugnisse an, häufig sogar unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede. Um dabei gegenüber der schlagkräftiger werdenden heimischen Konkurrenz wettbewerbsfähig zu bleiben, werden die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten vor Ort verstärkt.

Dabei zeigt sich eine zunehmende Ausdifferenzierung interessanter Kundensegmente. Die beiden wichtigsten Kategorien sind Einkommen (erhebliche regionale Unterschiede) und Alter (beispielsweise Kinder und Jugendliche, Senioren). Je nach Gruppenzugehörigkeit, wobei sich einzelne Cluster überlappen, sind spezifische Werbebotschaften und Marketingstrategien gefragt. Die VR China als einen homogenen Konsumentenmarkt bearbeiten zu wollen, ist dagegen von vorneherein zum Scheitern verurteilt (Quelle).